Der Jüdische Friedhof Unterbalbach
An der Straße nach Oberbalbach gelegen befindet sich seit dem ausgehenden Mittelalter der Jüdische Friedhof in Unterbalbach. Lag er früher außerhalb der Ortschaft, liegt er nun inmitten der Wohnbebauung. Von dieser ist er auf drei Seiten von Mauern, nach Süden hin durch den Bachlauf abgeschirmt. Der alte Eingang in der nordwestlichen Ecke liegt inzwischen teilweise unter dem Straßenniveau und ist zugemauert. Heute erfolgt der Zugang durch ein doppeltüriges schmiedeeisernes Tor in der Mitte der Nordmauer. Von dort steigt man einige Stufen in den Friedhof hinab. Auf einer Fläche von rund 85ar haben sich fast 1400 Grabsteine aus mehreren Jahrhunderten erhalten.
Im Judentum hat der Friedhof eine besondere Bedeutung: man nennt ihn das „Haus des ewigen Lebens“. Das Grab wird als persönlicher Besitz der Verstobenen angesehen; hier erwarten sie die Ankunft des Messias, weshalb die Gräber nach Osten –in Richtung Jerusalem– ausgerichtet sind. Bis dahin darf die Totenruhe nicht gestört werden. Beim Besuch des Friedhofes sind folgende Regeln zu beachten:
- Keine Besuche am Schabbat (von Freitagnachmittag bis Samstagabend).
- Männliche Besucher tragen eine Kopfbedeckung.
- Die Gräber sollen nicht betreten werden.
- Die Grabsteine, besonders jene aus Buntsandstein, sind mittlerweile oft brüchig und nicht immer ganz standfest. Daher sollte man sie nicht berühren.
Im Laufe der Zeit wurden hier Verstorbene aus folgenden jüdischen Gemeinden der Umgebung bestattet: zu Beginn vor allem aus Bad Mergentheim, Igersheim, Markelsheim, Weikersheim, Ober- und Niederstetten, Laudenbach, Edelfingen, Neunkirchen, Wachbach, Dörzbach, Ailringen, und Mulfingen, später auch aus Boxberg, Angeltürn, Unterschüpf, Neunstetten und Königshofen.
Geschichte des Friedhofes
Die erste urkundliche Erwähnung des Friedhofes datiert vom 22.Februar 1590. Nach dem Erlöschen der Familie Sützel hatte der Deutsche Orden, welcher seinen Regierungssitz 1529 nach Mergentheim verlegt hatte, deren Besitzungen in Unterbalbach erworben. Erzherzog Maximilian, Hochmeister des Deutschen Ordens, gewährte den Juden aus Mergentheim gegen eine jährliche Pacht die weitere Nutzung ihres bestehenden Begräbnisplatzes. Bereits in den folgenden zwei Jahrhunderten wurde der Friedhof durch Zukäufe viermal (in den Jahren 1643, 1704, 1728 und 1750) erweitert. Der älteste erhaltene Grabstein stammt aus dem Jahr 1603.
Bei der Überführung ihrer Toten aus den Heimatgemeinden auf den Friedhof waren die Juden ständigen Schikanen ausgesetzt. Begräbnisse durften z.B. nur in der Nacht stattfinden. In Jahren, in denen die Pest wütete, verweigerten einzelne Orte dem Leichenzug die Durchfahrt. An den Zollstellen zwischen den einzelnen Herrschaftsgebieten musste für einen erwachsenen Verstorbenen ein Gulden, für ein verstorbenes Kind die Hälfte gezahlt werden. Dies führte dazu, dass die Trauernden die Zollstellen umgingen und Schleichwege nutzten, um nach Unterbalbach zu gelangen. 1713 beschwerten sich deshalb die Zöllner aus Mergentheim, Igersheim, Markelsheim und Edelfingen bei der Ordensregierung, da die Weikersheimer Juden bei ihren Leichentransporten schon fünfundzwanzig Jahre statt der Zollstraße den Weg über Löffelstelzen und Oberbalbach nutzten.
Im Jahr 1729 kam es zu Streitigkeiten zwischen den jüdischen Gemeinden in Mergentheim und Weikersheim. Dies führte dazu, dass die Weikersheimer Juden von ihrem Landesherren, dem Grafen von Hohenlohe, die Erlaubnis erhielten, ab 1730 ihren eigenen Friedhof zu unterhalten. Dieser wurden auch von anderen Gemeinden, wie Tauberrettersheim und Hohebach, genutzt.
Im Zuge der napoleonischen Kriege zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts veränderte sich die politische Landkarte des Deutschen Reiches grundlegend. Die geistlichen Herrschaften wurden säkularisiert, kleinere weltliche Herrschaften wurden mediatisiert. Das bedeutete für unsere Region, dass das Fürstbistum Würzburg aufgelöst wurde und der Deutsche Orden seine Rechte und Besitzungen verlor. Die bisher geistlichen Territorien wurden zusammen mit den Herrschaften kleinerer Fürsten zwischen dem Königreich Württemberg und dem Großherzogtum Baden aufgeteilt. 1815 versuchte das badische Oberamt Boxberg, das nun für die Geschicke Unterbalbachs zuständig war, die Kontrolle über den Friedhof zu erlangen. Die Mergentheimer Juden seien als württembergische Ausländer nicht mehr berechtigt den Friedhof zu verwalten. Das württembergische Oberamt in Mergentheim berief sich auf die bereits Jahrhunderte bestehende Tradition, gegen welche bisher noch nie Einwände erhoben worden sei. Man einigte sich darauf, die bisherige Verwaltung zu belassen, aber fortan wurden auch badische Juden in Unterbalbach beerdigt.
1902 wurde die „Israelitische Bezirksfriedhofsverwaltung Mergentheim e.V.“ ins Vereinsregister eingetragen. Hauptzweck des Vereines war die rituelle Beerdigung der Toten der jüdischen Gemeinde. Erste Maßnahmen waren die erneute Vergrößerung des Friedhofs um 30ar, sowie der Bau einer neuen Mauer entlang der Oberbalbacher Straße. Die Kosten hierfür waren eine enorme Belastung, weshalb der Verein auch die Nachfahren von Menschen, die in Unterbalbach bestattet sind, um Spenden bat.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 standen die jüdischen Gemeinden unter immer stärkerem Druck. Die jüdischen Mitbürger wurden durch restriktive Gesetze ausgegrenzt und zu Bürgern zweiter Klasse degradiert. Beerdigungen wurden durch die Nazis gestört. 1938 wurde die Verwüstung des Friedhofes zwar verhindert; die dort gelagerten Gebetbücher wurden jedoch verbrannt. Die Bezirksfriedhofsverwaltung wurde 1940 in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland integriert. Die jüdischen Gemeinden wurden stetig kleiner: bis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wanderten viele Mitglieder aus, um in der Fremde eine neue Heimat zu finden; nach Ausbruch des Krieges begann die Deportation der Juden in Lager. Am 20.August 1942 konnte der Mergentheimer Bürgermeister der Kreisleitung melden, dass es in der Stadt keine Juden mehr gebe. Die jüdischen Gemeinden, deren Verstorbene seit Jahrhunderten in Unterbalbach bestattet worden waren, hatten aufgehört zu existieren.
Heute wird der Friedhof durch die „Die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden“ betreut; die Pflege des Friedhofs obliegt der Stadt Lauda-Königshofen.
Simon Baruch – Förderer der jüdischen Gemeinde Mergentheim
Die bedeutendste und einflussreichste Person der jüdischen Gemeinde in Mergentheim war Simon Baruch (*1722 - †1802). 1750 zog er nach Mergentheim und war hier als Hoffaktor für den Deutschen Orden tätig, d.h. er war für die Belieferung des Heeres und die Beschaffung von Kapital für die Ordensregierung zuständig. 1759 erwarb er ein Haus in der Holzapfelgasse, ließ dieses abreißen und an der Stelle ein herrschaftliches, dreistöckiges Wohnhaus errichten. Im Jahr 1762 erhielt Baruch gegen den Widerstand der katholischen Geistlichkeit die Genehmigung im Hinterhof seines Hauses eine Synagoge zu errichten. Ab 1784 lebte Baruch für zehn Jahre in Bonn, wo er für den Kölner Kurfürsten Maximilian Franz von Österreich, der in Personalunion auch Hochmeister des Deutschen Ordens war, als Hoffaktor diente. Während den Wirren der Revolutionskriege kehrte er nach Mergentheim zurück und wurde nach seinem Tod hier in Unterbalbach bestattet.
Die Grabsteine und ihre Symbole
Auf den ältesten Grabsteinen finden sich nur hebräische Aufschriften. Zu Beginn und Ende der Aufschrift finden sich auf nahezu auf jedem Grabstein die identischen Formulierungen: am Anfang heißt es „Hier ruht…“ oder „Hier ist geborgen…“, zum Abschluss „Seine/ Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens“. Neben dem Namen sind Geburts- und Sterbedatum vermerkt.
Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts verändern sich die Grabinschriften. Im Zuge der Assimilierung, d.h. dem Versuch sich der christlichen Mehrheitsgesellschaft anzupassen, werden Namen und Lebensdaten, aber auch der Wohnort oder Zitate in deutscher Sprache angebracht.
Sehr häufig finden sich auf den Grabsteinen Symbole, die in Bezug zu den Familiennamen oder zur Rolle innerhalb der Gemeinde stehen.